Donnerstag, 10. November 2011

Buschfunk Nummer 3

Jetzt melde ich mich endlich mal in einem etwas kürzerem Abstand wieder.
Nur wo soll ich dieses Mal anfangen zu Erzählen? Der letzte Eintrag ist zwar erst drei Wochen her, es ist aber schon wieder unglaublich viel passiert und ich konnte unglaublich viele Erfahrungen und Eindrücke sammeln, viel lernen.

Gesundheitlich geht es noch immer auf und ab, ich versuche aber trotzdem, das Beste aus der Zeit, die mir noch bleibt, herauszuholen und trotzdem so viel wie möglich im Krankenhaus zu schaffen und von Land und Leuten kennen zu lernen. Das klappt, auch wenn mein Körper sich noch nicht ganz von der Malaria erholt hat und ich nach wie vor viel Ruhe brauche, ganz gut.

Im Krankenhaus war ich die letzten drei Wochen hauptsächlich in der Outpatients tätig, was sehr viel Spaß gebracht hat.
Morgens wird die Tür geöffnet, alle Patienten legen ihre Gesundheitsheftchen auf einen Stapel, welcher dann abgearbeitet wird. Alle werden einzeln aufgerufen, interviewt und untersucht, es werden  Medikamente ausgeteilt oder eine Überweisung auf eine Station im Krankenhaus angeordnet. Auch alle Notfälle werden dort behandelt.
Medizinisch gesehen habe ich dort die volle Bandbreite mitbekommen, von Malaria und einfacher Grippe über beim Kokosnuss aufmachen wollen mit Buschmessern abgeschnittene Finger bis hin zu Platzwunden, die auf dem Dorf schon einmal mit einer Angelschnur genäht wurden. Teilweise wirklich sehr interessante und auch unglaubliche Fälle.
Dadurch und Dank der großen Unterstützung und Geduld aller Mitarbeitenden (alles einheimische Krankenschwestern und – pfleger) habe ich wirklich viel, viel gelernt. Inzwischen sitze ich alleine an einem „Interview-Tisch“, spreche selber mit meinen eigenen Patienten, untersuche sie, mache vorläufige Diagnosen, überweise Patienten auf Stationen. So langsam weiß ich, wann man welche Medizin in welcher Dosierung gibt, bekomme es gut hin, keine wichtigen Fragen beim Interview zu vergessen. Trotzdem zeige ich jedes fertig geschriebene Protokoll natürlich den ausgebildeten Mitarbeitern, damit diese alles noch abnicken und ich keine Fehler mache. Wunden verbinden kann ich auch schon ganz gut und meine erste Spritze habe ich auch schon gegeben
J.
Es bringt Spaß, so selbstständig wirklich mithelfen zu können, trotzdem aber gut beaufsichtigt zu sein und immer jemanden für Fragen an seiner Seite zu haben.
Nur, wenn ein Notruf eingeht, indem ein Mann aus einem Dorf bis ins Krankenhaus gerannt kommt, um Bescheid zu sagen und der Krankenwagen erst zwei Stunden später losfährt, kann ich das nicht verstehen. Grund dafür: der Fahrer schlief und ging nicht an sein Diensthandy. Da verstehen auch sonst sehr gewissenhafte Neuguineer nicht, warum mich das sauer macht, vielleicht muss man die Mentalität der Menschen aber einfach noch besser kennen um so etwas zu verstehen.
Ansonsten bringt es aber einfach Spaß, mit den einheimischen Menschen zusammen zu arbeiten. Leute, die aus diesen Dörfern kommen, die für mich nach wie vor so unwirklich wie im Film sind. Schlicht aber doch unglaublich freundlich. Sie kommen meistens barfuss oder mit so durchgelatschten Flipflops, welche schon keine Hacken mehr haben, die Leute also doch auf der bloßen Straße bzw. dem Sand gehen. Manche tragen traditionelle Kleidung, manche kommen in westlicher, dann aber meist dreckiger und verschlissener Kleidung. Und die Lebensfreude ist unglaublich groß, auch wenn sie kommen, weil sie krank sind.
Manche ältere Menschen oder auch Kinder haben „Übersetzer“ dabei, weil sie nur ihre Dorfsprache und kein Pidgin verstehen. Ich kann mir immer gar nicht vorstellen, dass sie es hinbekommen, die Medizin richtig zu nehmen, auch wenn man es ihnen erklärt und aufgeschrieben hat.
Es ist also sehr schön gewesen, die Zeit in der Outpatients zu arbeiten, ich habe unglaublich viel gelernt und wirklich interessante Begegnungen mit den Menschen gehabt.

Weiterhin laufen die Spielstunden auf der Kinderstation weiter und auch der Spielraum wird einmal die Woche geöffnet. Die Arbeit mit den Kindern bringt einfach Spaß. Die Kuscheltiere sind jeden Mittwoch ein Highlight und sowohl für Kinder als auch für Eltern ist es nach wie vor das Größte, wenn ich Fotos von ihnen mache und sie sich danach selber auf der Kamera sehen können. Hat Janneke ihre Kamera mit, rückt das Lieder singen, Bälle werfen und Bilder tuschen also immer eher in den Hintergrund.
Vor allem mit einzelnen Kindern gibt es immer wieder schöne Erlebnisse, so wie eines, welches ich vorgestern in mein Tagebuch geschrieben habe: „ Mittags war ich auf Ward 3 – den Spielraum öffnen. Mit einem Jungen saß ich etwa 40 Minuten da, er im Rollstuhl mit zwei Puppen neben sich, und wir haben uns Bilderbücher angeguckt und einfach wiederholt, was auf den Bildern zu sehen war. Das war wirklich schön, er hat die Aufmerksamkeit genossen, für mich war es interessant, wie er die deutschen Bilder (es war ein deutsches Bilderbuch) interpretiert hat. Ein großes Bauernhaus, daneben ein Stall waren ein Haus mit einem „Haus Win“ also einem Kochhaus mit Feuerstelle. Ein Nussknacker war ein Mann, der versucht, eine Kokosnuss mit Schale zu essen. Viele solche Vergleiche, auf die man selber nie gekommen wäre. Zwischendurch wurde immer geguckt, was die Puppen machen.
Später kam Baby Megdalyn mit Mama dazu, ein einjähriges Kind. Der durfte an der Tafel malen und mit Kuscheltieren spielen – großartig.“
Es sind so kleine Erlebnisse und Ereignisse, bei denen man merkt, den Kindern gutes zu tun und gerade die machen mich glücklich.

Ab nächster Woche werde ich auf der Entbindungsstation sein, noch ein neues Gebiet, wo ich hereinschnuppern darf. Das Kinderprogramm wird trotzdem weiterlaufen und ich kann mir gut vorstellen, dass ich, wenn auf der Station nicht viel los ist, zum Aushelfen in die Outpatients gehe, da ist immer genug Arbeit zu tun.

Insgesamt ist es einfach schön, sich inzwischen richtig gut und fließend verständigen zu können, dass alle Angestellten des Krankenhauses mich inzwischen kennen und ich sie auch. Ich genieße es, als „einer mehr“, nicht als „die andere“ gesehen zu werden und voll in die Krankenhausgemeinschaft aufgenommen worden zu sein.

Auch außerhalb des Krankenhauses erlebe ich nach wie vor viele schöne Sachen. Seien es wochenendliche Ausflüge mit den Krankenschwestern zum Baden am Wasserfall oder einfach die Abende, an denen wir zu dritt kochen, danach aber mit allen am Feuer sitzen.
Inzwischen kann man mit ihnen auch tiefer gehende Gespräche führen, wie zum Beispiel über die Gewalt hier im Land (Welche leider ein großes Thema ist, welches man vor Allem im Krankenhaus deutlich mitbekommt und ich vieles, was ich mitbekomme und sehe erst einmal für mich verarbeiten muss). Es ist sehr interessant, die Sichtweise der Einheimischen zu solchen Themen zu hören. Die Freundschaft mit Doris und Lydia hat sich inzwischen so eingespielt, dass es selbstverständlich ist, dass wir unser Essen zusammen einkaufen und auch zusammen kochen. An die Eintönigkeit, es gibt eigentlich immer Süßkartoffeln mit „Kumu“ (Blattgemüse), habe ich mich inzwischen gewöhnt und es schmeckt mir gut.
Zur Begeisterung aller habe ich inzwischen gelernt, Bilums, die Taschen, die man hier trägt, zu machen, was unglaublich mühsam ist und ich die Hoffnung, eins während meiner Zeit hier fertig zu bekommen, schon aufgegeben habe.
Ansonsten ist aus dem Schwesternwohnheim zu berichten, dass meine Zimmernachbarin ein Baby bekommen hat, ich also nur noch wenig Schlaf bekomme..

Die nachmittäglichen Gänge auf den Markt bringen jedes mal wieder Spaß, einmal trifft man immer Menschen, die man kennt und außerdem ist es einfach schön, zu sehen, wie sich vor allem die Frauen aus den umliegenden Dörfern freuen, wenn auch ich traditionelle Kleider anziehe. Dann bestehen sie fast darauf, mir Bananen oder Orangen um sonst dazu zu geben. Es ist einfach toll, sich das Treiben auf und vor dem Markt anzugucken, seien es die Marktfrauen, die sich einfach unterhalten und lauthals über etwas lachen oder sei es eine Gruppe Jungs, die den kleinen Bruder in einer gelben Schale als Auto hinter sich herziehen. Als Helm hat er eine halbe Kokosnuss auf dem Kopf. All das in sich aufzunehmen und zu genießen, einfach nur zuzugucken ist so erfüllend.

Ein besonderes Erlebnis war die Aktion „Senis Basket“. Dort sind Frauen aus einem Dorf gekommen und haben Gemüse aus ihrem Garten mitgebracht. Jede Frau hat eine Partnerin aus Butaweng bekommen (welches ja alles Frauen sind, die Geld verdienen) und hat das Gemüse gegen aus Läden gekaufte Lebensmittel wie Zucker und Tee getauscht.
Zum Schluss hatten wir jeder fast eine Schubkarre voll mit Gemüse, welches dann an das ganze Krankenhaus verteilt wurde, alleine hätten wir das nie aufgegessen, bevor es verschimmelt wäre.

Außerdem gab es eine sehr interessante Trauerfeier und zwar von einem Mitarbeitendem von “Lutheran Health Services“, Dr. Theo, der anscheinend hier unter den Angestellten sehr geschätzt war.
Es ist hier üblich, dass, wenn ein wichtiger Mann stirbt, seine Leiche durchs Land gekarrt wird, und überall Abschied von ihm genommen werden kann.
Der Sarg wurde also im Hubschrauber bis nach Gagidu geflogen, wo er vom District-Auto, mit Flaggen geschmückt und der Ambulanz, die extra eine Sirene aufs Dach bekommen hatte, abgeholt wurde.
Hier durften die Krankenhausmänner den Sarg dann durch ein Spalier aus Menschen und Blumen ins Administrationsgebäude tragen. Mit Musik zur Begleitung.
Drinnen wurden dann Reden gehalten, bis der Sarg einmal durchs gesamte Krankenhaus bis zum Fußballfeld getragen wurde. Auch der Weg geschmückt bis zum Umfallen – ein einziges Blumenmeer. Der gesamte Staff ging hinter dem Sarg hinterher und sang „Amazing Grace“. Kitschig aber doch eindrucksvoll. Angeblich ist der Sarg plötzlich, als sie durchs Tor wollten schwerer geworden, weil Dr. Theo nicht gehen wollte und unser Krankenhaus besonders gerne mochte. Es ist unglaublich, was für einen Aberglauben die Menschen hier haben.
Dann wurde er wieder vom Hubschrauber abgeholt und in seinen Heimatort weiterverschifft.

Eine Wanderung gab es, auf die mich Hannes und sein Bruder mitgenommen haben. Hierzu noch einmal ein Zitat aus meinem Tagebuch: „Es ging über die lange Hängebrücke überm Mape, durch Dörfer, die ich, auch wenn sie alle ähnlich sind, nach wie vor unglaublich interessant finde, durch Kakao-Bäume, richtigen Dschungel. Es ist einfach unbeschreiblich, wie anders und exotisch alles ist. Wir waren im Mape baden. Eine Aufregung gab es, als Wighty der Hund verschwunden war und an einem Abhang hing und weder hoch noch runter kam. Dadurch, dass ich das Pidgin inzwischen gut beherrsche, kann ich mich mit den Dorfeinwohnern richtig unterhalten und das bringt wirklich Spaß.“
Wie man sieht, ist es für mich noch immer unglaublich, wie schön und anders alles hier ist.

Insgesamt kann man also sagen, dass es gesundheitlich weiterhin bergauf geht und ich, obwohl ich etwas gebremst bin, zufrieden mit dem bin, was ich schaffe und tue. Wir haben festgestellt, dass ich alle Ziele, die ich erreichen wollte, inzwischen erreicht habe und das macht mich natürlich froh. Auch das Flötenprojekt wird diese Woche endlich angeleiert.
Das Herz tut mir weh, wenn ich daran denke, dass mir nur noch 4 Wochen hier im Dschungelparadies bleiben, vor allem in Momenten, in denen man in der Gemeinschaft und mit den Menschen zusammen ist, oder im Gottesdienst sitzt und die unglaublich musikalischen Kinder etwas vorsingen hört. Totzdem freue ich mich auch auf zu Hause und auf bekannte, geregelte Abläufe.

So weit erst einmal mein dritter Bericht. Ganz liebe Grüße ins wahrscheinlich schon kalte Deutschland!
Eure Janneke
J